Hartheim

Sozialpolitische Maßnahmen unter NS-staatlicher Kontrolle
Schloss Hartheim beherbergte seit dem Ende des 19. Jahrhunderts eine Schwachsinnigenanstalt des Landes-Wohltätigkeitsvereines unter Führung durch die Barmherzigen Schwestern vom Hl. Vinzenz von Paul. Während die Betreuung behinderter Menschen in Hartheim (nach zeitgenössischen Maßstäben) noch bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts als fortschrittlich bezeichnet werden kann, vollzog sich im benachbarten Deutschen Reich mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten bereits 1933 eine sozialpolitische Wende, die mit dem Anschluss 1938 auch für Österreich wirksam werden sollte. Um die Utopie von der erbgesunden arischen Volksgemeinschaft verwirklichen zu können, beanspruchte der NS-Staat die ausschließliche Kontrolle über alle sozialpolitischen Maßnahmen und drängte die nichtstaatliche Wohlfahrtspflege sukzessive zurück. So wurde im Dezember 1938 der Landes-Wohltätigkeitsverein aufgelöst und die Leitung in weiterer Folge der Fürsorgeabteilung der Gauselbstverwaltung übertragen. Zur selben Zeit liefen in Berlin bereits die Vorbereitungen zur Ermordung geistig und körperlich Minderwertiger.

Eugenik und NS-Euthanasie-Programm
Eugenisches Denken ist jedoch keine Erfindung der Nationalsozialisten. Seit Ende des 19. Jahrhunderts begann sich in der Wissenschaft die Überzeugung durchzusetzen, dass die von Charles Darwin (1802-1882) entwickelte Lehre von der natürlichen Auslese und vom Überleben des Stärkeren in der Natur auch für die menschliche Gesellschaft gelte (Sozialdarwinismus). Diese zunächst besonders in England aufkommende Eugenik wurde um die Jahrhundertwende in Deutschland unter dem Begriff Rassenhygiene populär. Unter der Annahme, dass Gesundheit und Krankheit zu einem Großteil erblich seien, sollte menschliche Fortpflanzung so gesteuert und geplant werden, dass die Starken gefördert, die Schwachen ausgemerzt würden. Der Wert des Einzelnen wurde nach seinem Nutzen für das Volksganze bestimmt. Nicht die Heilung des einzelnen Menschen, sondern die Gesunderhaltung und Leistungssteigerung des Volkskörpers war das Ziel. 1920 forderten zwei anerkannte deutsche Wissenschafter, der Rechtsgelehrte Karl Binding und der Psychiater Alfred Hoche, erstmals die „Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“. Durch die Weltwirtschaftskrise und die allgemeine Armut gewannen diese rassenhygienischen Vorstellungen an allgemeiner Attraktivität. Die Ausschaltung demokratischer Strukturen durch das NS-Regime schuf schließlich die Voraussetzungen für ihre radikale Umsetzung: die systematische Ermordung von geistig und körperlich behinderten Menschen. Die NS-Führungsspitze entschied sich für die Durchführung des Euthanasie-Programms unmittelbar vor Kriegsbeginn 1939. Mit dem auf 1. September 1939 rückdatierten Gnadentoderlass gab Hitler de facto das Signal zum Beginn der Aktion, mit der eine Gesellschaft geschaffen werden sollte, die frei von sozialem Ballast wäre.

Aktion T4
Meldebögen, die an alle Heil- und Pflegeanstalten, psychiatrischen Kliniken, Alten- und Siechenheime zur Erfassung und Klassifizierung der Patienten versandt wurden, bildeten die Grundlage für die Auswahl der Opfer. Es wurden im damaligen Deutschen Reich sechs Tötungsanstalten eingerichtet, in denen die Opfer mittels Kohlenmonoxyd erstickt werden sollten: Brandenburg an der Havel, Grafeneck in Württemberg, Sonnenstein/Pirna in Sachsen, Bernburg in Sachsen, Hadamar in Hessen – und eben Hartheim für das Einzugsgebiet Ostmark, Bayern und Untersteiermark. Nach der Adresse der Euthanasie-Zentrale in der Tiergartenstraße 4 in Berlin wurde später für die Aktion die Bezeichnung T4 üblich.

Tötungsanstalt Schloss Hartheim
Nach außen hin trat die Landesanstalt Hartheim als Institution der Gau-Fürsorgeverwaltung auf, wurde aber an die Gemeinnützige Stiftung für Anstaltspflege, eine der Tarnorganisationen der Aktion T4, abgetreten. Im März 1940 wurde das Schloss Hartheim geräumt, um mit den Umbauarbeiten für die Tötungsanstalt, die etwa bis Mitte April dauerten, beginnen zu können. Die Pfleglinge wurden ins Fürsorgeheim Baumgartenberg bzw. in die Heil- und Pflegeanstalt Niedernhart gebracht. Der Linzer Psychiater Dr. Rudolf Lonauer übernahm mit 1. April 1940 die ärztliche Leitung der Anstalt. Er war zugleich Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Niedernhart, die als Durchgangsanstalt für die Transporte nach Hartheim diente. Die Logistik der Mordaktion erforderte eine Zwischenstation (Abteilung VIII), in der nach Maßgabe der Kapazitäten in Hartheim die Opfer einige Tage lang untergebracht werden konnten. Lonauers Stellvertreter war der in Straßburg geborene Dr. Georg Renno. Die Verwaltung des Massenmordes wurde vom Büroleiter Christian Wirth, einem Polizeioffizier aus Württemberg, organisiert. Die Einrichtung der Tötungsanstalt sowie die Organisation ihrer Ausstattung mit Personal und Sachmitteln oblagen dem T4-Beauftragten Gustav Adolf Kaufmann. Das Personal, das auf dem Höhepunkt des Betriebes etwa 70 Personen umfasste, stammte zu einem Teil direkt aus der Belegschaft der T4-Zentrale in Berlin, zum anderen Teil wurde es in Zusammenarbeit mit der Gauleitung der NSDAP Oberdonau von den Gauinspekteuren Stefan Schachermayer und Franz Peterseil rekrutiert.

Die für die Tötung vorgesehenen Personen wurden von der T4-Zentrale in Berlin nach Hartheim gemeldet, wo die Transporte zusammengestellt wurden. Mit Autobussen wurden die Opfer von den Abgabeanstalten, aus der Heil- und Pflegeanstalt Niedernhart oder direkt aus den Zügen vom Linzer Hauptbahnhof nach Hartheim transportiert. Am Hauptbahnhof nahmen Dr. Lonauer und Dr. Renno die Opfer im Waggon in Augenschein und bestimmten jene, die sofort nach Hartheim kommen sollten; die anderen wurden für kurze Zeit nach Niedernhart gebracht.

Beginn der Euthanasie in Hartheim im Mai 1940
In der ersten Maihälfte 1940 traf der erste Transport, PatientInnen der Heil- und Pflegeanstalt Niedernhart, in Hartheim ein. Fuhren die Busse zunächst noch durch das Schlosstor in den Arkadenhof, so machten neue und größere Busse eine Änderung im Ablauf des Tötungsprozesses notwendig. An der Westseite des Schlosses wurde ein Schuppen errichtet, in den die Busse einfuhren. Die Opfer betraten durch einen Seiteneingang das Schloss, wo sie durch den abgeplankten Arkadengang zum Entkleiden geführt wurden. Anschließend wartete im Aufnahmeraum einer der Ärzte, um die Identität der Opfer zu überprüfen und jene zu kennzeichnen, die goldenen Zahnersatz besaßen oder als besondere medizinische Fälle angesehen wurden, deren Organe nach der Ermordung für die Forschung präpariert werden sollten. Letztere wurden anschließend in einer Fotozelle im Aufnahmeraum fotografiert. Danach wurden die Opfer in die als Brausebad getarnte, ca. 25 m² große Gaskammer geführt. 30 bis 60 Menschen, im Bedarfsfall auch mehr, wurden in den kleinen Raum gepfercht, in den dann die Ärzte, fallweise auch die Brenner (Bedienungspersonal des Krematoriumsofens) durch Öffnen des Gashahnes im Nebenraum Kohlenmonoxyd (aus Gasflaschen von der Firma IG Farben aus Ludwigshafen) einströmen ließen. Nach zehn bis fünfzehn Minuten waren die Menschen in der Gaskammer tot. Nachdem die Brenner noch etwa eine Stunde gewartet und dann die Gaskammer entlüftet hatten, transportierten sie die Leichen in den anliegenden Totenraum. Dort brachen sie den gekennzeichneten Leichnamen die Goldzähne aus und brachten die zur Obduktion bestimmten Körper in den entsprechenden Raum. Die Verbrennung der Leichen erfolgte im angrenzenden Krematorium. Ein Teil der Asche wurde dazu verwendet, Urnen zu befüllen. Der Rest wurde anfänglich in die etwa vier Kilometer vom Schloss entfernte Donau entleert, später im Schlossgarten vergraben.

Die Opfer von Hartheim
In Schloss Hartheim wurden von Mai 1940 bis zum offiziellen Euthanasie-Stopp im August 1941 über 18.000 körperlich und geistig behinderte sowie psychisch kranke Menschen ermordet und verbrannt. Die Opfer von Hartheim kamen zu einem Großteil aus den fast 100 österreichischen Anstalten, die im Zuge der Meldebogenaktion erfasst worden waren, aber auch aus Anstalten in der so genannten Untersteiermark, aus Bayern und auch aus dem Sudetengebiet: Mauer-Öhling bei Amstetten, Gugging, Wiener Neustadt, Ybbs an der Donau, Am Steinhof in Wien, Am Feldhof in Graz, Klagenfurt, Mils, Hall, Valduna in Rankweil, Lehen in Salzburg, Schwarzach-St. Veit, Eglfing-Haar bei München, Kutzenberg, Regensburg, Anstalten in und um Cilli und Marburg, Wiesengrund in Pilsen waren die größten dieser Einrichtungen.

Schloss Hartheim befand sich am Rand eines Dorfes. Die Bevölkerung wurde unter Berufung auf drastische Konsequenzen zur Geheimhaltung verpflichtet und die Anstalt so weit es ging vom Dorfleben abgetrennt. Dennoch wussten die Dorfbewohner relativ genau, was im Schloss vor sich ging. Eine kleine Gruppe um Karl und Ignaz Schuhmann und Leopold Hilgarth leistete Widerstand, indem sie in Flugblättern aufklärte. Die Gruppe flog auf, Ignaz Schuhmann und Leopold Hilgarth wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Die Todesfälle in Hartheim wurden durch ein eigens eingerichtetes Sonderstandesamt beurkundet, um vor der Öffentlichkeit und den Angehörigen die wahren Zusammenhänge durch manipulierte Todesnachrichten besser verschleiern zu können. Sterbedatum und Todesursache waren fingiert, teilweise auch der Todesort. Der Versand von Todesnachrichten und, wenn die Angehörigen dies wünschten, auch von Urnen, die beliebig mit gerade vorrätiger Asche gefüllt wurden, erfolgte aus anderen Tötungsanstalten.

Aktion 14 f 13 – Tötung von kranken KZ-Häftlingen
Ab dem Frühjahr 1941 wurde die technische Infrastruktur der Tötungsanstalten auch dazu genutzt, kranke Häftlinge der Konzentrationslager auszumerzen (Aktion 14 f 13). Ab Sommer 1941 – und über das offizielle Ende der Aktion T4 im August 1941 hinaus – trafen Häftlingstransporte aus Mauthausen-Gusen (etwa 5000 Häftlinge) und Dachau (über 3000 Häftlinge) in Hartheim ein.

Nicht zuletzt wegen wachsender Beunruhigung der Bevölkerung und öffentlicher Proteste von katholischen und evangelischen Geistlichen verfügte Hitler am 24. August 1941 den Abbruch der Aktion T4. Letztendlich ausschlaggebend war wohl eine Predigt des Bischofs von Münster, Clemens August von Galen, der vor dem Hintergrund eines allgemeinen Stimmungstiefs nach dem Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion auf das ungewisse Schicksal der durch Arbeit und Krieg zu Invaliden gewordenen Menschen hinwies.

Bis zu diesem Zeitpunkt waren in den Gaskammern der sechs Tötungsanstalten bereits etwa 70.000 Menschen getötet worden.

Der offizielle Stopp der Aktion bedeutete keineswegs ein Ende der Krankenmorde. In verschiedenen Anstalten wurde das Töten fortgesetzt durch Hunger, Kälte und Medikamente, zwar ohne direkte Steuerung aus Berlin, jedoch mit ausdrücklicher Billigung der leitenden Stellen der Euthanasieaktion.

In Hartheim wurde nach dem T4-Stopp zwar Personal abgebaut, die Tötungsanstalt allerdings nicht geschlossen. Die Aktion 14 f 13 lief bis Ende 1942, und wurde nach einer Ruhezeit im April 1944 bis zur Schließung der Tötungsanstalt Ende 1944 wieder aufgenommen. Insgesamt fielen der Aktion 14 f 13 in Hartheim über 8000 Menschen zum Opfer.

T4 als Grundlage der Aktion Reinhardt
Das Know-how der Tötungsspezialisten von T4 wurde zur Grundlage der Technik und Logistik des Massenmordes an den europäischen Juden in den Vernichtungslagern im Osten. Am bedeutendsten war wohl der Personal- und Technologietransfer von T4 zur Aktion Reinhardt, dem zunächst nach Staatssekretär Fritz Reinhardt, später nach dem sehr populären Chef des Reichssicherheitshauptamtes, Reinhard Heydrich, benannten Massenmord an der jüdischen Bevölkerung des Generalgouvernements, also der von Deutschland besetzten Gebiete Polens.

Im Sommer 1943 verlagerte man die T4-Zentrale wegen der Bombardierung Berlins teilweise nach Schloss Hartheim bzw. in das von der T4 beschlagnahmte Haus Schoberstein in Weissenbach am Attersee. Als die militärische Niederlage des NS-Regimes absehbar war, begannen die Verantwortlichen in Hartheim ihre Spuren zu verwischen. Am 12. Dezember 1944 wurde der „Betrieb“ in Hartheim eingestellt und gegen Jahresende 1944 die Anstalt aufgelöst. Zuvor wurden die Akten vernichtet und die baulichen Spuren der Tötungsanstalt mit Hilfe eines Häftlingskommandos aus Mauthausen beseitigt. Um die Tarnung zu vervollständigen, wurde Mitte Jänner im Schloss ein Kinderheim des Gaufürsorgeamtes mit Kindern aus dem Gaufürsorgeheim Baumgartenberg eingerichtet. Im Juni 1945 traf ein War Crime Investigation Team der U.S. Army unter der Leitung von Major Charles Dameron in Schloss Hartheim ein und begann mit den Untersuchungen.

Insgesamt wurden in Hartheim nahezu 30.000 Menschen getötet, davon knapp 20.000 im Rahmen der Aktion T4 von Mai 1940 bis August 1941 sowie über 8000 KZ-Häftlinge aus Mauthausen und Dachau im Rahmen der Aktion 14 f 13 von August 1941 bis Dezember 1944.

Autoren: Josef Goldberger und Cornelia Sulzbacher

Aus: Goldberger, Josef - Cornelia Sulzbacher: Oberdonau. Hrsg.: Oberösterreichisches Landesarchiv (Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus 11).- Linz 2008, 256 S. [Abschlussband zum gleichnamigen Forschungsprojekt des Oberösterreichischen Landesarchivs 2002-2008.]