Jüdinnen
und Juden

Nürnberger Rassengesetze
1935 wurden im Deutschen Reich die Nürnberger Rassengesetze erlassen: Das Reichsbürgergesetz besagte, dass nur derjenige Reichsbürger sei, der Staatsangehöriger deutschen oder artverwandten Blutes war. Das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre untersagte die Eheschließung und den außerehelichen Verkehr zwischen Juden und Ariern und die Beschäftigung arischer Frauen, die jünger als 45 Jahre waren, in jüdischen Haushalten. In den Nürnberger Gesetzen wurde auch genau festgelegt, wer als Volljude, als Mischling ersten Grades und als Mischling zweiten Grades einzustufen war. Als Geltungsjude wurden Mischlinge ersten Grades betrachtet, die der Kulturgemeinde angehörten oder mit einem Volljuden verheiratet waren. Nach dem Anschluss 1938 traten die Nürnberger Rassengesetze im Mai auch im bisherigen Österreich in Kraft.

Jüdische Bevölkerung in Oberösterreich
Der Großteil der oberösterreichischen Jüdinnen und Juden hatte die heraufziehende Gefahr nicht erkannt und nur wenige waren auf den Anschluss und seine Folgen vorbereitet. Da es Juden im Erzherzogtum ob der Enns erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlaubt wurde sich anzusiedeln, war die jüdische Gemeinde relativ klein. Ihre Zentren befanden sich in Linz, Wels und Steyr. Bereits während der nationalsozialistischen Machtübernahme begannen die Zwangs- und Verfolgungsmaßnahmen.

Am 12. März zogen SA-Trupps durch die Linzer Kaffeehäuser und misshandelten jüdische Mitbürger, zwei Tage später kam es zur „wilden“ Arisierung des Kaufhauses Kraus & Schober durch die Angestellten, am 18. März wurde der damalige Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Dr. Karl Schwager in Schutzhaft genommen und seine Rechtsanwaltskanzlei beschlagnahmt. Erst gegen das Versprechen, das Land umgehend zu verlassen, wurde Schwager aus der Haft entlassen. Mit seiner Familie und lediglich 10 Reichsmark reiste er aus. Als seinen Nachfolger setzten die Nationalsozialisten Max Hirschfeld als kommissarischen Leiter der Kultusgemeinde ein.

Die willkürlichen Verhaftungen endeten erst, als der Chef der Sicherheitspolizei Reinhard Heydrich verfügte, Verhaftungen dürften nur mehr mit Genehmigung und durch befugte Personen durchgeführt werden.

„Wilde“ Arisierungen
Die Behörden begannen, die jüdischen Bürger und Bürgerinnen in einer Kartei zu verzeichnen. Aufgrund der Verordnung über die Anmeldung jüdischen Vermögens von April 1938 mussten alle Jüdinnen und Juden bis Juni 1938 ihr gesamtes Vermögen über 5000 Reichsmark angeben. Die Bezirkshauptmannschaften erhielten die Weisung, alle in ihrem Bereich lebenden Jüdinnen und Juden zu melden und sie zur Auswanderung zu drängen. Von Mai bis November 1938 bestand eine eigene Judenschule in Linz, da jüdische Kinder nicht mehr die öffentlichen Schulen besuchen durften. Sie war in der Hilfsschule 1 in der Altstadt untergebracht und wurde zweiklassig geführt.

Gewerbliche, land- und forstwirtschaftliche Betriebe, Privatbanken, Häuser und Grundstücke, die Jüdinnen und Juden gehörten, wurden arisiert, ebenso ihr Privatvermögen, Sparbücher und Schmuck. Die jüdischen Besitzer konnten „freiwillig“ verkaufen, wobei sie allerdings wenig Verhandlungsspielraum hatten und ihr Eigentum meist unter Wert veräußern mussten. Die Ariseure wiederum zahlten an den Staat eine Entjudungs- bzw. Arisierungsauflage. Damit profitierte einerseits der Ariseur vom niedrigen Verkaufspreis, andererseits der Staat von der Abgabe. Der Großteil des jüdischen Eigentums wurde aber nicht verkauft, sondern von der Gestapo aufgrund des Gesetzes über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens beschlagnahmt.

Vertreibung der jüdischen Bevölkerung: 1938 bis 1939
Vordringliches Ziel der Nationalsozialisten in den Jahren 1938 und 1939 war es, die jüdische Bevölkerung zur Auswanderung zu zwingen. Durch den Entzug ihres Vermögens, den Ausschluss vom öffentlichen Leben, tägliche Schikanen und Misshandlungen hoffte man, dieses Ziel schnellstmöglich zu erreichen. Führende jüdische Unternehmer in Oberösterreich wie Samuel Löwy, Josef Eibuschütz, Hugo und Erich Mostny, Rudolf Guttmann und Viktor Spitz wurden unter dem Vorwand des Steuerbetrugs angezeigt und verhaftet. Die Brüder Mostny konnten das KZ Dachau erst verlassen, als sie auf ihr Eigentum verzichtet und sich dazu verpflichtet hatten, das Land sofort zu verlassen. Walter Schwarz, Miteigentümer des bekannten Linzer Kaufhauses Kraus & Schober, starb im Gestapogefängnis in München. Die Gestapo beschlagnahmte daraufhin sein Vermögen und ließ sich seine Lebensversicherung auszahlen. Die Frau und die beiden Neffen von Viktor Spitz begingen Selbstmord.

Die Arisierungen dienten in Oberösterreich auch dazu, langgediente Parteigenossen zu belohnen. Da Verwaltung und Weiterverkauf der beschlagnahmten Vermögen großteils in den Händen der Gauverwaltung lagen, konnten Parteimitglieder bei der Vergabe bevorzugt werden. Sowohl die Firma Spitz als auch die Firma Mostny kamen so in die Hände oberösterreichischer Parteigenossen.

Staatlich kontrollierte Enteignung Während es unmittelbar nach dem Anschluss zu einer Reihe „wilder“ Arisierungen kam und sich selbsteingesetzte Kommissare jüdischer Unternehmen bemächtigten, wurde diese Form der Arisierung bald von der staatlich kontrollierten Enteignung abgelöst. Die Vermögensverkehrsstelle im Ministerium für Handel und Verkehr, gegründet im Mai 1938, koordinierte die Arisierungen zentral. In Linz bestand eine Zweigstelle der Vermögensverkehrsstelle unter der Leitung von Friedrich Katzwendel. 1939 wurde sie in die Abteilung IV der Reichsstatthalterei eingegliedert. Bis Ende 1942 waren sämtliche jüdische Unternehmen in Oberösterreich arisiert oder aufgelöst.

In Linz lebte damals auch noch der ehemalige Hausarzt der Familie Hitler, Obermedizinalrat Eduard Bloch. Er hatte die Familie teilweise gratis behandelt bzw. günstigere Kostensätze verrechnet. Hitler gestattete ihm, in Linz zu bleiben. 1940 wanderte das Ehepaar Bloch doch nach Amerika aus.

Novemberpogrom
Nach der Ermordung des deutschen Botschaftssekretärs Ernst vom Rath in Paris durch den 17-jährigen polnischen Juden Herszel Grynszpan kam es im gesamten Deutschen Reich in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 zu geplanten Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung, die offiziell als spontane Reaktion des Volkes auf das Attentat ausgegeben wurden. In Linz kam es zu systematischen Misshandlungen und Einschüchterungen der jüdischen Bevölkerung durch Gruppen von SA- und SS-Männern. Die Synagoge wurde in Brand gesteckt. Die anrückende Feuerwehr verhinderte lediglich das Übergreifen der Flammen auf die benachbarten Gebäude. Das Geld der Feuerschutzversicherung musste auf ein SS-Konto eingezahlt werden, da die Israelitische Kultusgemeinde vor der Auflösung stand.

Nach dem Novemberpogrom verschärfte sich die Situation für die jüdische Bevölkerung. Sämtliche Handels- und Gewerbekonzessionen wurden aufgehoben, Juden durften keinerlei leitende Stellung mehr innehaben, der gemeinsame Besuch von Kulturveranstaltungen und Badeanstalten mit Ariern wurde verboten. Seit Jänner 1939 musste jeder Jude den zweiten Vornamen Israel, jede Jüdin den Zweitvornamen Sarah tragen. Im selben Jahr wurden Juden auch zur Leistung von Zwangsarbeit, unter anderem im Straßenbau, herangezogen. In Oberösterreich bestanden solche Zwangsarbeitslager in Doppl-Altenfelden, in Traunkirchen und in Steyr.

Auswanderungsverbot und organisierter Massenmord ab 1941
Für eine Auswanderung benötigte man Ausreisepapiere, Visa, ein aufnahmebereites Asylland und Geld für die Reichsfluchtsteuer (die ein Viertel des Vermögens umfasste und den Staat für Nachteile, die ihm aus der Auswanderung erwuchsen, entschädigen sollte). Da dies meist nur Jüdinnen und Juden mit einem gewissen Vermögen möglich war, wiesen Polizei und Gendarmerie die im Land verbliebenen Jüdinnen und Juden an, nach Wien zu übersiedeln, wo sie in Sammelwohnungen leben mussten. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde eine Auswanderung schließlich fast unmöglich, nur in die USA, nach Südamerika und Shanghai konnte man 1940 noch unter schwierigsten Bedingungen fliehen.

1941 wurde ein Auswanderungsverbot erlassen und es begann der organisierte Massenmord am europäischen Judentum. Oberösterreichische Jüdinnen und Juden, die in Wien in den Sammelwohnungen lebten oder in die Tschechoslowakei geflohen waren und dort von der nationalsozialistischen Gewaltpolitik eingeholt wurden, wurden in Konzentrationslager deportiert und ermordet. Von Linz aus fuhren keine Deportationszüge, aber die wenigen noch in Oberösterreich verbliebenen Jüdinnen und Juden wurden mit Lastwagen in das KZ Theresienstadt gebracht (Im KZ Mauthausen und seinen Nebenlagern wurden fast keine einheimischen Jüdinnen und Juden inhaftiert).

Unter den aus Linz Deportierten war auch der fast 100-jährige Leopold Mostny (1843 - 1942), der 25 Jahre lang deutschnationaler Gemeinderat in Urfahr war; er hatte lange Zeit unter dem Schutz des Reichsstatthalters August Eigruber gestanden, als sich dieser im Oktober 1942 in Berlin aufhielt, wurde auch Mostny deportiert und starb wenige Tage später.

Unter den aus Linz Deportierten war auch der fast 100-jährige Leopold Mostny (1843 - 1942), der 25 Jahre lang deutschnationaler Gemeinderat in Urfahr war; er hatte lange Zeit unter dem Schutz des Reichsstatthalters August Eigruber gestanden, als sich dieser im Oktober 1942 in Berlin aufhielt, wurde auch Mostny deportiert und starb wenige Tage später.

1943 verschärfte sich die Situation weiter und die Verfolgungen betrafen auch Jüdinnen und Juden, die bisher aufgrund ihrer Ehe mit einem Arier davor verschont geblieben waren. Starb der Ehepartner, verloren sie jeglichen Schutz. Kurz vor dem Zusammenbruch 1945 gab die Gestapo-Leitstelle in Linz noch den Befehl, sämtliche in Oberösterreich in geschützten Ehen lebenden Jüdinnen und Juden zu verhaften.

Vereinzelt wurde den verfolgten Jüdinnen und Juden auch individuelle Hilfe angeboten. So versteckten die Kapuziner eine Jüdin in ihrem Klostergarten, bis sie mit einem Lastwagen an die Schweizer Grenze gebracht werden konnte.

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches kehrten nur wenige Jüdinnen und Juden aus dem Ausland zurück. Erst 1949 wurde die Israelitische Kultusgemeinde in Linz wieder gegründet.

Autoren: Josef Goldberger und Cornelia Sulzbacher

Aus: Goldberger, Josef - Cornelia Sulzbacher: Oberdonau. Hrsg.: Oberösterreichisches Landesarchiv (Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus 11).- Linz 2008, 256 S. [Abschlussband zum gleichnamigen Forschungsprojekt des Oberösterreichischen Landesarchivs 2002-2008.]