Quellen der Mediävistik

Quellen in der mediävistischen Forschung


Was ist eine historische Quelle?
Als historische Quellen bezeichnen wir im weitesten Sinn alle Zeugnisse (Überlieferungen), die über geschichtliche
(= vergangene) Abläufe, Zustände, Denk- und Verhaltensweisen informieren, d. h. letztlich über alles, was sich in der Vergangenheit ereignet hat, diese kennzeichnet, von Menschen gedacht, geschrieben oder geformt wurde (Hans-Werner Goetz). Dies bedeutet, dass jede Überlieferung, die etwas über die Vergangenheit aussagt, (potentielle) historische Quelle sein kann, ja es gibt grundsätzlich nichts, das nicht Quelle werden könnte. Ob diese brauchbar ist und ob es sich um eine bessere oder schlechtere Überlieferung handelt, entscheidet sich erst von der jeweiligen konkreten Fragestellung her. Zur „Quelle“ wird dieses Zeugnis erst unter den Händen der Historikerinnen und Historiker, die daraus Kenntnisse über die Vergangenheit gewinnen wollen. Der Begriff „Quelle“ kennzeichnet also nicht das Zeugnis an sich, sondern dessen Funktion für die Geschichtswissenschaft.

Quellen sind nicht schon als solche geschaffen. Sie haben ursprünglich vielmehr ein von der Benutzung durch Historikerinnen und Historiker unabhängiges Eigenleben und einen Eigenwert. Sie wollen (fast immer) etwas Bestimmtes aussagen, aber nicht zwangsläufig das, was uns an ihnen interessiert. Die Überlieferung selbst wiederum ist nicht die Vergangenheit, sondern sie gibt Zeugnis von ihr. Sie bedarf also der geschichtswissenschaftlichen Bearbeitung, um in diesem Sinne aussagekräftig zu werden: Die methodische Erschließung der Quellen ist Aufgabe der Geschichtswissenschaft.

Für die Geschichte des Mittelalters existieren in erster Linie schriftliche Quellen, daneben bauliche Denkmäler sowie bildliche und gegenständliche Quellen (im weitesten Sinn), wobei letztere häufig erst archäologisch ergraben werden müssen.

1. Schriftliche Quellen
Unter die schriftlichen Quellen fallen Urkunden und andere Rechtsquellen, Schrifttum, das im Zusammenhang mit Verwaltungstätigkeiten entstand, erzählende und literarische Quellen sowie Inschriften.

a. Urkunden und andere Rechtsquellen
Urkunden werden traditionellerweise in Kaiser- bzw. Königsurkunden, in Papsturkunden und in „Privaturkunden“ eingeteilt. Die ersten beiden Kategorien galten im Mittelalter als „unscheltbar“, also als nicht beeinspruchbare Letztentscheidungen, die Recht in Einzelfragen setzten; allgemein gültige Gesetzbücher gibt es hingegen erst seit der Neuzeit. Die Bandbreite der so genannten Privaturkunden reicht von Urkunden hoher weltlicher und kirchlicher Vertreter, die sich formal an den Kaiser- bzw. Papsturkunden orientieren, bis hin zu einfachen Grundstücksschenkungen (Traditionen) freier Untertanen. Höherrangige Aussteller, später auch die Städte, durften zur Beglaubigung ein Siegel führen, während die Urkunden niederrangiger Aussteller in der Regel durch eine Zeugenliste bekräftigt wurden.

Die ältesten Kaiser- bzw. Königsurkunden, die den oberösterreichischen Raum betreffen, stammen aus dem 9. Jahrhundert, der späteren Karolingerzeit. Noch älter sind hingegen einige Traditionen an das Kloster Mondsee, die im Mondseer Traditionsbuch überliefert sind. Ab dem 13. Jahrhundert nimmt die Urkundenproduktion schlagartig zu, da immer breitere Bevölkerungsschichten lesen und schreiben konnten. Im 13. Jahrhundert vollzog sich weiters der Übergang von lateinischen zu mittelhochdeutschen Urkunden – eine Ausnahme bildete dabei nur die Kirche, deren Urkundenproduktion weiterhin auf Lateinisch erfolgte.

Die Inhalte der Urkunden sind weit gestreut: Sie reichen von Privilegien für Klöster anlässlich deren Gründung (etwa 777 für Kremsmünster), über Stadtrechtsprivilegien (etwa 1212 für Enns) bis hin zu Steuererleichterungen nach Naturkatastrophen.

Zu den Rechtsdenkmälern in einem weiteren Sinn zählen auch die Weistümer. Darunter sind Rechtsgutachten zu verstehen, die „Auskünfte“ von  Rechtskundigen enthalten, bei denen Gewohnheitsrecht erfragt wurde. Das berühmteste Beispiel für ein derartiges Weistum ist die Zollordnung von Raffelstetten (Gem. Asten) aus der Zeit um 903/905, in der Details zu den Mauten an der Donau und zu den mit Schiffen transportierten Handelsgütern genannt sind.

b. Verwaltungsschrifttum
Im Mittelalter waren die geistlichen und weltlichen Grundherren in ihren Grundherrschaften für die allgemeine Verwaltung zuständig. Der Großteil dessen, was dabei schriftlich festgehalten wurde, ist heute verloren, doch existieren vereinzelt noch so genannte Urbare: Darunter sind Verzeichnisse zu verstehen, die auflisten, wie viel an Einnahmen - etwa über die Leistung des Zehents - von jeder Besitzung zu erwarten waren.

Im ausgehenden Mittelalter verschriftlichte sich auch die Verwaltung der Städte immer mehr. Die städtischen Ämter führten Jahr für Jahr Aufzeichnungen über Einkünfte und Ausgaben. Bemerkenswert sind dabei die erstmals 1350 überlieferten und ab 1441 mit nur mehr kleinen Lücken erhaltenen Abrechnungen des Welser Bruckamts, die eine Quelle ersten Ranges über Brückenreparaturen und damit auch über die Häufigkeit von Überschwemmungen darstellen.

c. Erzählende Quellen
Die erzählenden Quellen aus dem mittelalterlichen Oberösterreich teilen sich vor allem in zwei Gruppen: Zum einen wurden in den meisten Klöstern Annalen geführt. Darunter versteht man Jahrbücher mit knappen Eintragungen zu jedem Jahr. Verwandt mit den Annalen sind die Chroniken, die hingegen für jedes Jahr deutlich ausführlichere Informationen beinhalten, häufig aber eine kürzere Zeitspanne als die Annalen umfassen, die meist bei Christi Geburt ihren Ausgang nahmen.

Zum anderen wurden zu den Heiligen Lebensbeschreibungen und Wunderberichte verfasst. Manche von ihnen entstanden lange nach dem Tod des Heiligen und sind daher von ihrer Glaubwürdigkeit besonders schwer zu beurteilen, etwa die Lebensbeschreibung des Hl. Florian, deren heute erhaltene Fassungen aus dem 9. Jahrhundert stammen, während Florian selbst schon 304 n. Chr. den Märtyrertod starb.

d. Literarische Quellen
Aus Oberösterreich und über Oberösterreich existieren nur wenige literarische Quellen. Die Verserzählung Helmbrecht, häufig auch als Meier Helmbrecht betitelt, gehört zu den wichtigsten Denkmälern mittelhochdeutscher Literatur aus dem österreichisch-bayerischen Raum und stammt aus dem dritten Viertel des 13. Jahrhunderts.

Im ausgehenden Mittelalter gingen die frühen Humanisten nach italienischem Vorbild wieder auf Latein als wichtigste Kunstsprache zurück. In einem Brief in gewandtem Humanistenlatein berichtet etwa der italienische Humanist Enea Silvio Piccolomini (1405-1464) über seine Eindrücke von einem Besuch auf Schloss Ebelsberg bei Linz. Er beschrieb dabei das Schloss, seine Umgebung und insbesondere den Gastgeber, den Passauer Bischof Leonhard von Laiming (1423/24-1451), in höchsten Tönen.

e. Inschriften
Inschriften gehören zu den wichtigsten schriftlichen Quellen aus dem Mittelalter. Sie befinden sich etwa auf Grabplatten, die in Kirchen oder Klosterkreuzgängen in den Boden eingelassen waren (bzw. zum Teil noch sind), und geben über die Person des/der Bestatteten Auskunft. Ebenso können sie an Gebäuden den Bauherrn angeben. Berühmt wurden die Inschriften aus der Zeit Kaiser Friedrichs III. (1440/1452-1493) mit der bis heute nicht eindeutig aufgelösten Buchstabenfolge A.E.I.O.V. Zudem sind ab dem Jahrtausendhochwasser von 1501 Hochwassermarken erhalten, die entweder nur die Wasserhöhe und das Jahr angeben oder aber aus elaborierten Gedichten bestehen.

2. Baudenkmäler
Aus dem mittelalterlichen Oberösterreich sind vielerorts noch Baudenkmäler erhalten. Dabei handelt es sich zum einen um Burgen, die von Adeligen errichtet wurden und heute in der Regel als Ruinen oder in restaurierter Form erhalten sind. Ebenso stammen zahlreiche Kirchen- und Klosterbauten aus dem Hoch- oder Spätmittelalter, wobei der romanische oder gotische Bau häufig in späterer Zeit umgestaltet wurde und die mittelalterlichen Teile mitunter nur mehr in Form von einzelnen Portalen, Fenstern oder Grundmauern erhalten geblieben sind.

Städtische Bürgerhäuser sind ebenfalls seit dem Spätmittelalter erhalten, doch auch sie wurden häufig durch spätere Umbauten verändert. Das vielleicht bekannteste Beispiel eines spätgotischen Bürgerhauses ist das so genannte Bummerlhaus in Steyr. Viele andere Bauwerke bzw. Baureste aus dem Mittelalter können heute allerdings nur mehr archäologisch nachgewiesen werden (Mittelalterarchäologie).

3. Bildliche Quellen
Bildquellen mit historischer Aussagekraft sind für weite Strecken des Mittelalters praktisch nicht vorhanden. Freskenzyklen wie die in der Stiftskirche von Lambach aus dem 11. Jahrhundert haben rein die Bibel und Heiligenleben zum Thema und können somit Zeugnisse für das Kunstschaffen im Mittelalter, aber weniger für den Verlauf der Geschichte sein. Allgemein wurden in der Fresken- und Tafelmalerei vor dem 15. Jahrhundert nur wenige Szenen aus dem Lebensalltag der Menschen abgebildet. Allerdings spiegeln bei bildlichen Darstellungen aus der Bibel und Heiligenlegenden die Realien (Kleidung, Alltagsgegenstände, Szenerie im Hintergrund) aus der Entstehungszeit wider, sodass damit indirekt Rückschlüsse auf die Geschichte des Mittelalters möglich sind. So wird etwa auch dem berühmten Flügelaltar von Michael Pacher in der Pfarrkirche von St. Wolfgang der Heilige als Baumeister gezeigt, der im 15. Jahrhundert gebräuchliche Werkzeuge verwendet. Für die Rekonstruktion der Lebenszeit des Hl. Wolfgang, also die Zeit fast 500 Jahre vor der Entstehung des Altares, sind diese bildlichen Darstellungen hingegen wenig aussagekräftig.

Die Buchmalerei, die schon im 8. Jahrhundert im Stift Mondsee – und bald darauf auch in Kremsmünster – ihren ersten Höhepunkt im oberösterreichischen Raum erlebte, ist ebenfalls primär ein Zeugnis für das Kunstschaffen im Mittelalter, da in den Handschriften nur spärlich bildliche Darstellungen mit historisch interessantem Inhalt zu finden sind. Miniaturen, die etwa den Hl. Florian als Soldatenheiligen in Ritterrüstung zeigen (so z. B. im so genannten Marbach-Missale aus der Zeit um 1306/10), beschränken sich weitgehend auf Stereotype.

4. Gegenständliche Quellen
Alltagsgegenstände, Waffen und Werkzeuge aus dem Mittelalter haben sich nur selten im Original und zumeist in Form von Bodenfunden erhalten, die durch archäologische Ausgrabungen (Mittelalterarchäologie) zum Vorschein kamen.

Autor: Christian Rohr, 2009