Hochmittelalter

Städtegründungen und -erweiterungen des Hochmittelalters in Oberösterreich


Welle von Stadtgründungen
Nicht nur in Oberösterreich, sondern auch in ganz Zentraleuropa kann man davon ausgehen, dass im Hochmittelalter – vor allem im 12. und 13. Jahrhundert – nach einer Zäsur die Stadtentwicklung eine ganz andere Qualität annahm, als das im Frühmittelalter der Fall war.

In der älteren Stadtgeschichtsforschung konzentrierte man sich vor allem auf die Kontinuität von Siedlungen der Römerzeit bis zur Stauferzeit. Dementsprechend sah man auch den Markt als mindere Form der Stadt an und ordnete ihm eine Zwischenstufe in der Entwicklung zu. Neuere Forschungen versuchen nun im Gegensatz dazu Markt und Stadt nebeneinander zu stellen und Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede dieser beiden bürgerlichen Siedlungsformen herauszuarbeiten.

Die Forschung nimmt heute auf der einen Seite an, dass bis zum Hochmittelalter nur wenige große Siedlungen konstant und bedeutend waren und sieht außerdem im 12. Jahrhundert eine intensive Siedlungs- und Stadtgründungsphase einsetzen. Bis zum 12. Jahrhundert sind es in Oberösterreich keine zehn Orte, die nachweislich urbanen bzw. foralen (marktähnlichen) Charakter aufweisen können. Im Gegensatz dazu finden sich im 13. Jahrhundert über 40 Erstnennungen.

Aufbau der Infrastruktur
Bei dieser rasanten Zunahme ist jedoch auch zu beachten, dass die Neu- und Ausbauten von Siedlungen bzw. Städten erhebliche Probleme und Schwierigkeiten mit sich brachten. Es galt natürlich zuerst einmal die Versorgung mit Wasser, Lebensmitteln und Rohstoffen zu gewährleisten. Außerdem nahm man im Hochmittelalter bei Erweiterungen nur wenig Rücksicht auf naturgeografische Gegebenheiten, was oftmals wegen der ungünstigen Lage umfangreiche Befestigungen und aufwändige Wasserversorgungsmaßnahmen notwendig machte. Ab wann das dazu nötige Know-how verfügbar war, lässt sich nicht genau sagen, es wird aber erst nach der Mitte des 12. Jahrhunderts angenommen. Neben den erforderlichen finanziellen Mitteln waren eine bestimmte geistige Einstellung, die nötige Machtkonzentration und vor allem auch ein lokaler Machthaber erforderlich.

Die entsprechenden Arbeiten mussten vom Grundherren organisiert und überwacht werden. Die Landesfürsten hatten vor der Mitte des 12. Jahrhunderts noch nicht die Macht, eine Stadt mit Sonderrechten auszustatten, was aber schon im frühen 13. Jahrhundert für viele Städte geradezu überlebensnotwendig war. Daraus folgt, dass sowohl der Ausbau als auch die Stadtgründung und die Privilegierung aufeinander abgestimmt sein mussten.
Es ist davon auszugehen, dass die meisten angelegten Stadt- und Marktsiedlungen neben der üblichen zentralen Wirtschaftsfunktion auch eine Wehrfunktion besaßen.

Die größere Zahl von Bürgern, die hier Besitz und Heimat hatten, garantierte eine stärkere Verteidigungskraft als die relativ geringe Besatzung einer Burg. Die meisten der im Norden, Osten und Südosten des Babenbergerreiches gelegenen planmäßigen Gründungen erhielten in den folgenden Jahrhunderten den Status einer Stadt. Herausragendes Beispiel einer solchen Städtegründung ist Wiener Neustadt, das 1194 quasi aus dem Nichts an der alten österreichisch-steirischen Grenze erbaut wurde und sowohl als Festung als auch als Handelszentrum an der Venediger Straße fungierte.

Erste Stadterhebungen
Mit dem Einsetzen einer eigenständigen territorialen Entwicklung der Babenbergermark lassen sich unter Markgraf Leopold III. (1095-1136) im niederösterreichischen Gebiet die ersten Stadtwerdungen feststellen. Dank ihrer geostrategischen und wirtschaftlich günstigen Lage an Flüssen sind hier allen voran Krems, Tulln, Wien und Hainburg zu nennen. Leopold konnte diese Marktplätze im Zuge des Investiturstreits von König Heinrich IV. erwerben. Es folgten weiters St. Pölten, Ybbs, Pöchlarn, Stein, Neuburg, Linz und Wels. Die meisten dieser Siedlungen entstanden bei einer Burg, die gleichsam als Ausgangspunkt diente. Daneben waren oft – wenn auch nicht für den oberösterreichischen Raum – Klöster oder geistliche Zentren bedeutend für die Ausbildung eines zentralen Ortes (z. B. Melk, Salzburg). Auffällig für diese frühen Zentralorte ist die Namensgebung, die in vielen Fällen von Flussnamen bestimmt war.

Die Babenbergermark an der Donau hatte im 12. Jahrhundert sicher im österreichischen Raum eine gewisse Vorreiterstellung inne. Angelehnt an die Vorbilder Regensburg und Passau entstanden hier die ersten Städte Österreichs. In den restlichen Gebieten des heutigen Österreichs kannte man in dieser Zeit nur Märkte, aber noch keine Städte.

Aufschwung im 13. Jahrhundert
Das 13. Jahrhundert muss nun als die entscheidende Phase im Werden der (ober-)österreichischen Städte angesehen werden. Dieser Aufschwung der Städte und der allgemeine Trend zur Urbanisierung sind aber keine österreichischen Spezifika, sondern auch im Gebiet des heutigen Deutschlands zu sehen.
Auf der einen Seite änderte sich das Erscheinungsbild vieler Städte erheblich, indem sie mit einer Mauer umgeben und/oder erheblich erweitert wurden, auf der anderen Seite wurde ihr rechtlicher Status fixiert. Für diese Blütezeit der Städte im Babenbergerreich war vor allem die Tatsache entscheidend, dass die Herzöge die wichtigsten Orte in ihre Hand bekamen und somit vor allem unter Herzog Leopold VI. eine entscheidende Förderung einsetzen konnte.

In Oberösterreich kann man diese Entwicklung besonders gut am so genannten Städteviereck nachvollziehen. Wie erwähnt wurde im 12. Jahrhundert noch von keiner Stadt/civitas im Land ob der Enns gesprochen, in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts wird aber Enns das Stadtrecht verliehen (1212), Linz erscheint 1236 als civitas, nachdem 1228 bereits Bürger genannt werden und 1242 ein Stadtsiegel erwähnt wird. Steyr wird 1252 civitas genannt und Wels erlangt 1222 Stadtcharakter. Neben den anderen landesfürstlichen Städten Freistadt (1277), Gmunden (1334) und Vöcklabruck (1353) kann als einzige ‚private’ Stadt Eferding bereits 1222 ein Stadtrecht vorweisen. Die damals bayerischen Städte Schärding und Braunau wurden erst 1316 bzw. 1309 in den Status einer Stadt erhoben.

Wirtschaftliche Bedeutung
Die alten Städte in Oberösterreich hatten primär eine wirtschaftliche Funktion, die es besonders mit den entsprechenden Rechten zu sichern galt. Das expansive Moment in der Städtepolitik der Babenberger kann man auch recht deutlich an den zahlreichen Stadterweiterungen sehen. Oftmals wurde neben einem allgemein gewachsenen Teil einer Stadt eine neue Siedlung planmäßig angereiht, wie das etwa in Tulln, St. Pölten, Hainburg, Krems oder Wels der Fall war. Nur eine einzige Stadt – nämlich Freistadt – wurde im frühen 13. Jahrhundert von den Babenbergern in Oberösterreich größtenteils planmäßig erbaut und von ihren Nachfolgern mit den entsprechenden Rechten versehen.

Anstieg der Bevölkerungszahl
Mit der Ausdehnung der Städte im Donauraum erlangte man auch jene Bevölkerungszahl, die oftmals bis zum Beginn der industriellen Revolution erhalten blieb. Entscheidend für diesen Zuwachs war aber nicht nur die Attraktivität der Städte, sondern das Ansteigen der Bevölkerung im Allgemeinen. In der Folgezeit kann man keine vergleichbaren Erweiterungen mehr feststellen, es kam also zu einer Erstarrung des Städtewesens.

Landesfürsten und Adelsgeschlechter
Neben dem Landesfürsten traten gegen Ende des 13. Jahrhunderts Adelsgeschlechter, vor allem Ministeriale, als Gründer und folglich Herrscher von Städten in Erscheinung. Als Beispiel mögen hier die reichsunmittelbaren Grafen von Hardegg, die im niederösterreichischen Grenzgebiet zu Mähren die Stadt Retz gründeten, der Liechtensteiner Otto II., der Murau in der Steiermark 1298 das Judenburger Stadtrecht verlieh, und die Kuenringer mit der Gründung der Stadt Dürnstein in der Wachau dienen.

Stadtrechtsurkunden
Stadtrechtlich betrachtet lassen sich im Hochmittelalter zwei Etappen feststellen, deren Wendepunkt mit dem Ennser Stadtrecht von 1212 markiert ist. Die frühen Stadtrechtsurkunden sind meist recht kurz und allgemein gehalten, sie enthalten nur das Wesentlichste. Anlass für diese Urkunden war meist eine Streitigkeit, die dann in ihren wichtigsten Punkten geregelt wurde. Als Beispiele mögen hier das verlorene Wiener Stadtrecht von 1198 und das Privileg der Stadt Zwettl von 1200 dienen.

Im Gegensatz dazu beinhalten Privilegien des 13. Jahrhunderts ausführliche Bekundungen der städtischen Freiheiten und Rechtsbräuche. Die spätbabenbergischen Stadtrechtsquellen von Enns, Wien und Hainburg sind die ersten dieser Art von Urkunden, die viele Fragen des städtischen Rechts, der Verfassung und Verwaltung regeln.

Aus späteren Urkunden ist zu entnehmen, dass noch andere Orte unter den Babenbergern mit Stadtrechtsprivilegien ausgestattet worden sind (die jedoch nicht mehr erhalten sind): Tulln, Triebensee, Laa und Eggenburg in Niederösterreich, Freistadt in Oberösterreich, Graz, Fürstenfeld und Judenburg in der Steiermark.
Das bedeutendste und früheste private Stadtrechtsprivileg stammt aus dem Jahr 1222 und galt für die passauische Stadt Eferding. Mit diesen neuen Stadtrechten ging auch ein ganz neues Selbstverständnis der Städte einher. Man war sich der führenden Stellung in der Handels- und Marktwirtschaft bewusst und drängte zusehends auf ein Mitspracherecht in der Landespolitik.

Autor: Elmar Mattle, 2009