Frühmittelalter

Städtegründungen und -erweiterungen des Frühmittelalters in Oberösterreich


Will man zu den Anfängen des Städtewesens im heutigen Oberösterreich zurückgehen, so muss man zweifellos einen Blick auf das römische Imperium werfen. Das Gebiet gehörte fast zur Gänze zu der römischen Provinz Noricum ripense mit der Hauptstadt Ovilavis. Wichtige Orte waren vor allem Lauriacum/Lorch mit einem Bischofssitz, Lentia/Linz und eben Ovilavis/Wels. Als am Ende des 5. Jahrhunderts wegen der Bedrohung aus dem Norden und Osten die Räumung weiter Gebiete am Limes befohlen wurde, ernannte man Lauriacum zum Sammelplatz für Flüchtlinge aus den westlichen Städten. Es ist also nur an sicheren und wirtschaftlich günstig gelegenen Punkten davon auszugehen, dass man von einer Besiedlungskontinuität und dem Erhalten einer romanisierten Bevölkerungsschicht sprechen kann.

Baierische Neubesiedelung
Nach dem römischen Abzug wanderten die Baiern in den Bereich des heutigen Oberösterreich ein, stießen aber keinesfalls auf menschenleeres Siedlungsgebiet. Auch wenn die Lebensbedingungen für die Landbevölkerung schlecht gewesen sein müssen, so ist eine umfassende Auswanderung aus diesem Raum unwahrscheinlich. Schließlich spricht auch die Vita Severini nur von einer Räumung der Städte an der Donau, nicht aber des Hinterlandes. Der Abzug der römischen Truppen hinterließ kein zerstörtes Land und keine wesentlich dezimierte Bevölkerung.

Die Baiern besetzten in den folgenden Jahrzehnten zuerst den oberösterreichischen Zentralraum und vermengten sich mit dem illyrisch-keltisch-germanischen „Völkergemisch“, das in der Kaiserzeit außerhalb der römischen Siedlungszentren das Gros der Provinzbevölkerung darstellte. Von einer romanischen Siedlungskontinuität kann also bis auf wenige Ausnahmen nicht gesprochen werden, römische Quadrafluren erhielten sich nur in einzelnen Orten in größerer Anzahl und mittelalterliche Gebietsgrenzen decken sich nur selten mit römischen Verwaltungsgrenzen. Allein der Trassenverlauf der römischen Straßen dürfte weitestgehend identisch mit den modernen Straßenzügen sein. Dazu gibt es ein paar Orte, in denen zwar der römische Straßenraster zum Teil noch im mittelalterlichen Stadtbild weiterlebte, der alte Name aber durch einen deutschen ersetzt wurde, und umgekehrt solche, in denen der Name, aber nicht das Siedlungsbild beibehalten wurde.

Zahlreiche bairische Siedlungen
Die bairische Neubesiedelung und Herrschaftsbildung ging friedlich vor sich, die vorgefundenen Bewohner wurden gleichberechtigt in den Stammesverband aufgenommen. Anhand von Reihenfeldergräbern, die als typisch bairisch angesehen werden, und mit Hilfe der Onomastik (Ortsnamenforschung) konnte man feststellen, dass das Gebiet zwischen Donau und Traun zum frühesten Siedlungsgebiet der Baiern gehörte. Als typisch bairische Ortsnamen, die auf -ing enden und/oder mit einem Personennamen gebildet werden, können hier Munderfing (von Munolf), Schärding (Scardo), Pupping (Poppo), Eferding (Efrid), Leonding (Liutmunt), Hörsching (Herigis), Wilhering (Williheri) und Anzing (Anzo) angeführt werden. Auffällig hierbei ist vor allem, dass diese ältesten Formen der bairischen Siedlungen auf guten Böden, die für die Agrarwirtschaft zuträglich waren, gehäuft auftreten.

„Klosterkette“
Das Gebiet östlich des Inns erfuhr erst allmählich von Westen her eine staatliche Organisation, weshalb ihm auch lange Zeit der Charakter eines Grenzlandes zukam. Die Flüsse Traun und Enns bildeten die Ostgrenze des bairischen Stammesgebietes. Bodenfunde und Ortsnamenforschung lassen vermuten, dass es westlich der Traun eine intensivere Siedlungskontinuität als im heutigen Niederösterreich gegeben hat.

Im 8. Jahrhundert wurde von den Baiern die Traunlinie überschritten, 777 das Kloster Kremsmünster gegründet. Wichtige Stützpunkte und Verwaltungszentren bildeten im agilolfingischen Gebiet herzögliche Höfe wie Ranshofen, Mattighofen und Ostermiething. Im zentral gelegenen Traungau dürften aber die befestigten, an alten Verkehrsknotenpunkten gelegenen und an römische Vorläufer anknüpfenden Siedlungen Linz, Wels und Lorch als Vororte fungiert haben. Die so genannte Klosterkette mit den gestifteten Klöstern Mondsee (748), Mattsee (zwischen 757 und 765) und Kremsmünster (777) sollte ebenso Mission und Kolonisation erleichtern.

Karolingische Kolonisation
Nach der Eingliederung des Herzogtums Baiern in das fränkische Reich und der Unterwerfung der Awaren im Osten begann der Abschnitt der intensiven karolingischen Kolonisation. Neben den bereits genannten agilolfingischen Stützpunkten wurden die Königshöfe Mining, Hochburg, Kronstorf, Neuhofen an der Krems und Atterhofen (Attersee) zu den organisatorischen Zentren. Zwischen den älteren Siedlungen im Alpenvorland und nördlich der Donau wurden neue Einzelhöfe und Hofgruppen angelegt.

Durch die Vergrößerung des bairischen Einflusses in den oberösterreichischen Randgebieten – vor allem in den Waldgebieten im Südosten und im Mühlviertel – wurden zusehends die slawischen Einwohner und Siedlungsgebiete assimiliert und eingedeutscht.

907 erlitt das baierische Heer unter Markgraf Luitpold eine vernichtende Niederlage gegen die Ungarn bei Pressburg, wodurch das Gebiet östlich der Enns unter magyarische Kontrolle fiel und der Traungau wieder zum Grenzland wurde. In den folgenden Jahren kam es immer wieder zu Vorstößen der Magyaren, erst Otto der Große konnte sie 955 auf dem Lechfeld besiegen und errichtete ab 960 die ottonische Mark östlich der Enns.

Siedlungskontinuität
Insgesamt lässt sich im Gebiet des heutigen Oberösterreichs eine Siedlungskontinuität mit einer zunehmenden Verdichtung bis zum 10. Jahrhundert feststellen. Weite Teile des Alpenvorlandes weisen in dieser Zeit bereits ein mindestens so dichtes Ortsnetz auf wie heute. Allerdings konnten sich die wenigsten dieser Weiler in den folgenden Jahrhunderten bemerkenswert vergrößern. Die weniger oder noch nicht besiedelten Gebiete am Sauwald, Hausruck, Kobernaußerwald und im Mühlviertel wurden erst in der hochmittelalterlichen Kolonisation vom 11. bis zum 13. Jahrhundert erschlossen, brachten aber durchwegs Siedlungen hervor, die als kleine Dörfer zu bezeichnen sind.

Städte von geringer Bedeutung
Die späteren wichtigen Städte des Hoch- und Spätmittelalters hatten im Frühmittelalter eine verhältnismäßig geringe Bedeutung:
Enns und Steyr, die sich beide lange an der Reichsgrenze befanden, haben früh eine Befestigung erfahren.
Die Ennsburg am Georgenberg, über deren Entstehung(sdatum) sich die Forschung bis heute nicht einig ist, wurde vermutlich im 10. Jahrhundert erbaut und löste mit der rundherum wachsenden Siedlung Lauriacum/Lorch zusehends in seiner Bedeutung ab.
Steyr kann auf keine spätantike Tradition verweisen und tritt erstmals 985 als Stirapurhc auf, deren Zweck nicht ganz klar ist, vermutlich hat sie aber nicht als Bollwerk gegen die Ungarn gedient. 1050 ging die Burg auf die Otokare über, welche die Burg zu ihrem Herrschaftszentrum machten. Schon Ende des 11. Jahrhunderts wird Steyr als urbs bezeichnet und weist damit, wenn auch nicht unbedingt städtischen, aber doch zentralörtlichen Charakter auf.
Lentia/Linz – Legionslager und Zivilsiedlung – wurde zwischen 270 und 275 zerstört, erst 799 wird ein castrum Linze erwähnt, das vermutlich am Martinsfeld zu suchen ist. Anhand von mehreren Urkundenerwähnungen im 9. Jahrhundert kann von einer zentralörtlichen Bedeutung ausgegangen werden und am Beginn des 10. Jahrhunderts muss, vor allem wegen der Raffelstetter Zollordnung, die Linz als offiziellen Marktort und Zollstation vermerkt, der späteren Landeshauptstadt eine regionale Bedeutung zugesprochen werden.
Ovilavis/Wels musste wohl als ehemalige römische Provinzhauptstadt die größte Bedeutungsverminderung erfahren. Die Frage nach einer Zerstörung der Stadt im 5. Jahrhundert konnte bis heute nicht geklärt werden, vermutlich kann aber von einer Siedlungskontinuität ausgegangen werden, wenn auch Ovilavis seinen urbanen Charakter verloren hat. Die erste frühmittelalterliche Erwähnung von Wels als castrum Uueles datiert aus dem Jahr 776 und lässt auf eine zentralörtliche Bedeutung schließen, die vermutlich das ganze Mittelalter über nicht mehr verloren ging.
Vöcklabruck, Gmunden und Freistadt können keine (besonderen) spätantiken oder frühmittelalterlichen Siedlungen vorweisen, wenn auch zumindest Vöcklabruck an einem ehemaligen römischen Straßenknotenpunkt entstanden ist. Straßenkreuzung und Flussüberbrückung sowie politische Motive waren für die Anlage des Marktes im 12. Jahrhundert ausschlaggebend.
Braunau war bis ins Hochmittelalter eine dörfische Siedlung und stand in dieser Zeit im Schatten von Ranshofen, das eine ursprünglich agilolfingsche, nach 788 karolingische Pfalz war.
In Schärding wird ein kleines römisches Kastell vermutet, das allenfalls von den Agilolfingern übernommen wurde. 804 wird der Ort Scardinga erstmals in einer Passauer Urkunde erwähnt und 903 wiederholt als locus bezeichnet.
Eferding kann im Gegensatz zu manchen anderen Städten des Mittelalters keine Siedlungskontinuität vorweisen. Das römische Kastell wurde zerstört und erst mit einer allmählichen Ansiedelung gewann der Ort gegen Ende des 10. Jahrhunderts wieder an Bedeutung.

Autor: Elmar Mattle, 2009