Soziale Struktur

Soziale Struktur der ländlich-agrarischen Bevölkerung im Mittelalter


Generelle Aussagen über die soziale Struktur der ländlich-agrarischen Bevölkerung im Mittelalter lassen sich schwer treffen, da starke regionale Unterschiede zu konstatieren sind. Zudem gilt es, die Entwicklung der Sozialstruktur über den langen Zeitraum des Mittelalters und die damit einhergehenden Veränderungen zu bedenken. Dennoch können – mit dementsprechender Vorsicht – einige grundsätzliche Aussagen getroffen werden. Vor allem ist aber beim Blick auf soziale Strukturen zwischen der kleineren Haus- und der größeren Dorfgemeinschaft zu unterscheiden.

Hausgemeinschaft
Wichtiger als der Verwandtschaftskreis der Sippe ist besonders ab dem Hochmittelalter die so genannte familia. Als familia wird zum einen die Haus- bzw. Hofgemeinschaft bezeichnet, zu der die Kernfamilie mit Eltern und Kindern sowie das an einem Hof tätige Gesinde zählten. Es handelte sich also um eine Wohn- und Tisch- sowie eine Wirtschaftsgemeinschaft. Alle daran Teilhabenden standen unter der Herrschaftsgewalt, aber auch unter dem Schutz (munt) des Hausherren. Dennoch, die Ehefrau war nicht völlig rechtlos. So war es ihr in manchen Regionen erlaubt, frei über Besitz zu verfügen. Zudem konnte sie beim Ableben ihres Mannes dessen Erbe antreten.

Die Eheschließung galt im Mittelalter als ein Rechtsvertrag, der zwischen zwei Sippen bzw. Familien geschlossen wurde. Er bot sowohl einen Rechtsschutz als auch eine existenzielle Absicherung für die Frau. Der Hauptzweck der Ehe lag im Zeugen von Kindern, sollten diese doch die spätere Versorgung der Eltern gewährleisten. Deshalb genoss die schwangere Frau in der bäuerlichen Welt besonderes Ansehen und gewisse Erleichterungen bei der Arbeit, während sie ansonsten schwere Tätigkeiten im Haus und auf dem Feld verrichten musste.

Trotz des Rechtscharakters der Eheschließung konnte sich die Monogamie in der bäuerlichen Welt lange nicht durchsetzen. Viele Paare lebten auch ohne formellen Ehevertrag beieinander, was einerseits an der mangelnden finanziellen Absicherung des Mannes, andererseits aber auch an der fehlenden Zustimmung des Grundherren zur Heirat gelegen haben mag.

Die Familie stellte allerdings nicht nur eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft dar, sie erfüllte naturgemäß auch soziale Funktionen. So war sie für die Erziehung und Ausbildung der Kinder verantwortlich. Besonders wichtig war der Familienverband für die Versorgung alter, kranker und arbeitsunfähiger Angehöriger.

Dorfgemeinschaft
Gerade ab dem Hochmittelalter entwickelte sich das soziale Gefüge eindeutig hin zur Dorfgemeinde, deren Mitglieder als rechtlich gleichgestellt anzusehen sind. Auch verschiedene Aufgaben wurden gemeinschaftlich übernommen und man versuchte die Notwendigkeiten des Alltags in Kooperation zu bewältigen, etwa die Bestellung der Felder im Sinne der Dreifelderwirtschaft. Die Dorfgemeinschaft war also primär keine emotionale Gemeinschaft, sondern eine, die vor allem aus wirtschaftlicher Notwendigkeit heraus entstand.

Bei Dörfern mit Niederstgerichtbarkeit wurden aber auch kleinere Vergehen vom Dorfgericht bzw. einem Richter oder Schulzen geahndet, dem Schöffen bzw. Geschworene unterstellt waren. Während der Richter von der Obrigkeit eingesetzt werden konnte, wurde der Bauernmeister (burmester) von der dörflichen Genossenschaft gewählt. Dieser Bauernmeister fungierte als eine Art Dorfvorsteher; er nahm die Rechte der Dorfbewohner wahr, die in so genannten Weistümern aufgezeichnet waren, übernahm dörfliche Verwaltungsaufgaben, manchmal auch die niedere Gerichtsbarkeit und koordinierte Aussaat und Ernte auf den gemeinschaftlichen Fluren.

Die Dorfgemeinschaft übernahm u. a. den Ausbau der Dorfkirche, den Unterhalt des Pfarrers, regelte die gemeinsame Nutzung von gewerblichen Einrichungen wie Mühle oder Schmiede und sorgte sich um Dorfarme. Ebenso trat die Gemeindeversammlung zusammen, um wichtige Anliegen wie die Anbauordnung zu bestimmen und die Organe der Dorfgemeinde zu wählen.

Die Bewohner des Dorfes bildeten dennoch keine homogene Gesellschaft, vielmehr gestaltete sich diese durchaus differenziert. Diese sozialen Unterschiede sind u. a. auf die quantitativen Unterschiede beim Besitz, der selbstständig bewirtschaftet werden durfte, die daraus resultierende unterschiedlich intensive Beteiligung der Bauern an der Marktproduktion und die Möglichkeit, zusätzliches Einkommen durch handwerkliche Tätigkeiten (z. B. Leinenweben) zu erwirtschaften, zurückzuführen. Diese Möglichkeiten begannen sich gerade mit dem Aufblühen der Städte im hohen Mittelalter merklich auszuweiten. Im 13. und 14. Jahrhundert entwickelte sich so sukzessive eine schmale bäuerliche Oberschicht, die sich vom Gros der übrigen Bewohner dörflicher Siedlungen abhob.

Der Text wurde auf Basis der in der Literaturliste angegebenen Publikationen verfasst.

Redaktionelle Bearbeitung: Klaus Landa, 2009