Die Entnazifizierung
in Oberösterreich

Um nach Ende des Krieges einen demokratischen Staat aufbauen zu können, war die Beseitigung von Nationalsozialisten aus der öffentlichen Verwaltung und sämtlichen Führungspositionen in Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft ein wesentliches Ziel der Besatzungsmächte. Die Entnazifizierung erfolgte nach bürokratischen, formalen Kriterien. Problematisch an dieser Methode war, dass durch die starke Schematisierung des Verfahrens (Erfassung mittels Fragebogen, Amnestien) eine oft notwendige Individualbehandlung zu kurz kam. Durch die bürokratische Herangehensweise kam es nicht zu jener politischen, kulturellen und ideologischen Umerziehung der Gesellschaft, die notwendig gewesen wäre.

Gesetzgebung und Phasen der Entnazifizierung
In der ersten, bis Februar 1946 andauernden Phase erfolgte eine autonome Entnazifizierung durch die Alliierten. Danach erhielt die österreichische Regierung die Verantwortung für die Entnazifizierung übertragen, als deren Grundlagen das Verbotsgesetz, das Kriegsverbrechergesetz und das Wirtschaftssäuberungsgesetz von 1945 herangezogen wurden. Die Alliierten behielten eine Kontrollfunktion bei. Zwischen Februar 1947 und Mai 1948 wurde die Entnazifizierung auf Grundlage des Nationalsozialistengesetzes von 1947 durchgeführt, nach dem im Rahmen eines kollektiven Verfahrens eine Einteilung in Belastete, Minderbelastete und Amnestierte erfolgte. Die Jahre 1948 bis 1957 schließlich gelten als Zeit der großen Amnestien, in denen bis 1949 482.000 österreichische registrierte Nationalsozialisten amnestiert wurden. Sie stellten bei den Wahlen 1949 ein wichtiges, neues Wählerpotential dar, das es für die Großparteien zu gewinnen galt.

Entnazifizierungspraxis in der amerikanischen Zone
Die erste Phase der Entnazifizierung in der amerikanischen Zone in Oberösterreich wurde anhand eines „Provisional Handbook for Austria“ vom April 1945 durchgeführt, das sich an den Entnazifizierungsbestimmungen für Deutschland orientierte. Man unterschied zwischen „unbedingt“ und „unter Umständen“ zu entfernenden Personen. Erstere Kategorie umfasste Personen, die unbedingt aus öffentlichen Ämtern zu entlassen waren und für die die Automatic-Arrest-Bestimmungen zur Anwendung kamen. Die Kategorie „discretional removal“ betraf unter Umständen zu entlassende Personen.
In der unmittelbaren Nachkriegszeit nahm die Entnazifizierung der amerikanischen Militärregierung im Verhältnis zu direkt anstehenden Problemen des täglichen Lebens wie Wiederaufbau, Versorgung der Bevölkerung, Sicherung der Energieversorgung, etc. nur eine zweitrangige Stellung ein. Aus Sorge, die Bewältigung der chaotischen Zustände nicht gewährleisten zu können, wurden viele der erfahrenen Verwaltungsbeamten in ihren Positionen belassen.

Verschärfung der Entnazifizierung
Durch den Druck der öffentlichen Meinung und somit auch der US-Führungskräfte kam es im Juli 1945 ausgehend von Deutschland auch zu einer Verschärfung der Entnazifizierungspraxis in Österreich. Eine USFET-Direktive (US Forces in the European Theater) vom Juli 1945 verlangte eine härtere und systematischere Gangart der Entnazifizierung. Ab 17. Juli 1945 übernahm in Oberösterreich die „Special Branch“, eine Sonderabteilung der öffentlichen Sicherheit bis in die regionalen Ebenen der MG-Detachments (Military Government) die Entnazifizierung. Als Messinstrument zur Entscheidung über die Eignung oder Nichteignung einzelner Personen diente ein sechsseitiger Fragebogen, der auf Basis der NS-Registrierungsakten von öffentlich Bediensteten, von führenden Persönlichkeiten in Industrie und Wirtschaft als auch von Angestellten der US-Streitkräfte auszufüllen war. Auf Basis dieser Erhebung erfolgte eine Unterteilung in Belastete und Minderbelastete.

Dr. Ernst Kaltenbrunner wurde im Oktober 1946 im Nürnberger Prozess zum Tode verurteilt und hingerichtet, August Eigruber im sogenannten Mauthausenprozess im Mai 1947 in Landsberg verurteilt und ebenfalls hingerichtet. Zahlreiche oberösterreichische Nationalsozialisten wurden verhaftet, etwa 8.000 in das Anhaltelager Glasenbach eingewiesen. Viele Parteigenossen, alle höheren Beamten, die zwischen 1938 und 45 befördert worden waren, und alle deutschen Staatsbürger verloren ihre Stellung. Die Zahl der als Nationalsozialisten registrierten Oberösterreicher betrug 1948 83.876, davon 8.283 Belastete und 75.593 Minderbelastete.

Auflösung des Beamtenkabinetts
In Oberösterreich kam es zu der unangenehmen Situation, dass die Entnazifizierungsbestimmungen letztendlich zu einer Auflösung des von der US-Militärregierung selbst eingesetzten Beamtenkabinetts führten. Der von den Amerikanern ernannte Landeshauptmann Eigl und andere Regierungsmitglieder wurden im Juli bzw. August 1945 ihres Amtes enthoben.

Internierung in Anhaltelagern
Ehemalige oberösterreichische NS-Funktionäre wurden im Anhaltelager Glasenbach bei Salzburg für bis zu zwei Jahre interniert. Das Ergebnis der Entnazifizierung war letztlich nicht mehr als eine zeitlich begrenzte Entfernung ehemaliger Nationalsozialisten aus ihren Führungspositionen in den Bereichen Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Gesellschaft. Die meisten „Ehemaligen“ fanden aber bald wieder Anschluss an ihre beruflichen Karrieren.

Entnazifizierung in der sowjetischen Zone
Die Entnazifizierungsmaßnahmen in der russischen Zone waren im Allgemeinen weniger umfangreich als in der amerikanischen Zone. Die Durchführung der Entnazifizierung wurde fast ausschließlich österreichischen Behörden anvertraut, nur in wenigen Fällen griffen die Sowjets – nicht immer nachvollziehbar – in die Entnazifizierungsmaßnahmen ein. Allerdings mussten der sowjetischen Kontrollkommission in regelmäßigen Abständen Statistiken über den Fortschritt der Entnazifizierungsmaßnahmen vorgelegt werden. Anhaltelager wie in der amerikanischen Zone gab es im Mühlviertel nicht.

Das Hauptziel der russischen Entnazifizierung lag in der Eliminierung der NS-Elite – für Mitläufer wurde hingegen eine möglichst schnelle Integration in die Gesellschaft angestrebt. Wie in der amerikanischen Zone wurden insbesondere in der ersten Nachkriegszeit nationalsozialistische Beamte in ihrem Dienst belassen, um die notwendige Aufrechterhaltung der Verwaltung zu gewährleisten. Nach der Wahlniederlage der Kommunistischen Partei bei der Novemberwahl 1945 verschärften die Sowjets ihre Entnazifizierungsbestimmungen.

Probleme der Entnazifizierung
Insgesamt ist die Entnazifizierung in Österreich als nur teilweise (bis nicht) gelungen zu beurteilen. Nahezu ein Viertel der Österreicher war von der Entnazifizierung betroffen und vor allem die geistige Elite des Landes zählte zu den ehemaligen NSDAP-Mitgliedern, die auch für den Wiederaufbau und Weiterentwicklung des Landes von großer Bedeutung waren. Von den österreichischen Stellen wurde die Entnazifizierung nicht immer konsequent und den Gesetzen entsprechend durchgeführt – die Vertreter einer strengen Entnazifizierung lagen in ständigem Widerstreit mit den für den wirtschaftlichen Wiederaufbau zuständigen Abteilungen der US-Besatzungsmacht. Die österreichische Bevölkerung selbst vertrat die Meinung, dass alle Kraft in den Wiederaufbau und die Versorgung der Allgemeinheit gesteckt werden sollte, und die Entnazifizierung als zweitrangiges Problem zu behandeln sei. Problematisch ist darüber hinaus die Methode selbst, mit der durch ein diktatorisches System eine Demokratie herzustellen versucht wurde.

In der Diskussion um die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Österreich wird aber auch vielfach übersehen, dass zu Beginn der Zweiten Republik österreichische Gerichte eine im internationalen Vergleich beachtliche Leistung zur Ausforschung und Aburteilung von NS-Tätern vollbracht haben. Zwischen 1945 und 1955 waren eigene Schöffengerichte (die so genannten „Volksgerichte"), bestehend aus drei Laienrichtern bzw. -richterinnen (Schöffen bzw. Schöffinnen) und zwei Berufsrichtern zur Ahndung von NS-Verbrechen eingerichtet.

Verwendete Literatur siehe Bibliografie.
Redaktionelle Bearbeitung: Elisabeth Kreuzwieser, 2005