Sowjetische Zone

Leben und Alltag im Mühlviertel 1945–1955


Der Umgang mit der Bevölkerung
Wie die Amerikaner hatten auch die russischen Besatzungssoldaten den Auftrag, den Kontakt zu Zivilpersonen zu meiden – Gaststätten, Märkte oder Volksfeste und Kirchen durften nicht besucht werden. Explizit wurden Plünderungen und Übergriffe jeglicher Art auf die Bevölkerung verboten. Beim Bekanntwerden derartiger Fälle reichten die Maßnahmen der sowjetischen Militärkommandantur vom Verschleppen in die Sowjetunion über Gerichtsverfahren bis zur Todesstrafe. Insbesondere in den ersten Wochen und Monaten war es von Seiten der russischen Besatzer zu zahlreichen Übergriffen gekommen, die sich zwar zahlenmäßig reduzierten, jedoch nie ganz aufhörten. Durch die Ausschreitungen während der ersten Besatzungsmonate prägte sich ein negatives „Russenbild“ im kollektiven Gedächtnis der österreichischen Bevölkerung ein.

Angst vor der Grausamkeit der russischen Besatzerbr>Insbesondere Frauen waren in der ersten Zeit der Besatzung von den Zugriffen der russischen Soldaten betroffen – Vergewaltigungen von Frauen jeden Alters standen an der Tagesordnung. Viele entwickelten eigene Strategien und suchten ängstlich nach Auswegen, um den brutalen Angriffen der sowjetischen Besatzungssoldaten zu entgehen: Manche Frauen und Mädchen versteckten sich während der Nächte auf Heuböden, in Feldern und Kellern, um vor den Übergriffen der Soldaten verschont zu bleiben. Andere verkleideten sich als hässliche, alte Frauen oder täuschten Krankheiten vor. Fälle von Vergewaltigungen sind auch – allerdings in geringerem Maße – von Amerikanern bekannt. Zu Kindern – so die heutigen Erinnerungen – waren die Russen stets nett und freundlich.

Verschleppungen und Verhaftungen in der sowjetischen Zone
Ein dunkles Kapitel der „Russenzeit“ ist die Verschleppung von Zivilisten in sibirische Lager. Aus Aufzeichnungen, die in der Sowjetunion über Kriegsgefangene und Zivilinternierte gemacht wurden geht hervor, dass zwischen 1945 und 1955 in den sowjetisch besetzten Zonen Österreichs mehr als 2200 Zivilsten verhaftet und davon mindestens 1000 verurteilt und in die Sowjetunion verschleppt wurden. Viele von ihnen kehrten erst nach Jahren oder gar nicht mehr zurück. Offizielle Verhaftungsgründe waren Spionagevorwürfe oder Kriegsverbrechen an UdSSR-Bürgern.

Nach heutigem Forschungsstand (2003) wurden insgesamt 133 OberösterreicherInnen von Sowjets verhaftet. Von diesen wurden zehn Personen wieder freigelassen, 14 starben in der Sowjetunion und 41 Personen, über deren Schicksal keine Angaben vorliegen, sind „abgängig“. 59 verschleppte Personen kehrten schließlich aus der sowjetischen Gefangenschaft im Archipel GULAG wieder in ihre Heimat Oberösterreich zurück – einige von ihnen erst mit den letzten Heimkehrertransporten des Jahres 1956. Es kann angenommen werden, dass die tief im kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung verankerten Verschleppungen von Zivilisten in Zahlen niedriger waren, als im Allgemeinen angenommen wird. Dies bestätigen auch die Zahlen aus den russischen Archiven.
Unabhängig von tatsächlichen Zahlen steht fest, dass die überraschenden, und oft nach außen unbegründeten Festnahmen von Zivilpersonen durch die sowjetischen Besatzer ein ständiges Gefühl von Bedrohung, Unsicherheit und Gefahr bei der Bevölkerung auslösten.

Die Wahrnehmung der Besatzer durch die Bevölkerung
In Erfahrungs- und Erlebnisberichten werden die russischen Besatzer nahezu immer mit einem negativen Bild in Verbindung gebracht. Sie traten im Gegensatz zu den Amerikanern, die als „Gebende“ wahrgenommen wurden, durch „Nehmen“ in Erscheinung: Demontagen ganzer Betriebe, Beschlagnahme des Deutschen Eigentums und Einbringung in den Komplex der USIA, Plünderungen, Verschleppungen. So blieben sie in Erinnerung. Durch die großen wirtschaftlichen Verluste, die der zweite Weltkrieg der Sowjetunion zugefügt hatte, wären umfangreiche Wirtschaftshilfen von sowjetischer Seite nicht möglich gewesen.

Trotz intensiver prosowjetischer Propaganda und auch eines positiven Selbstbildes als „Held und Befreier“ wird die russische Besatzungsmacht in Österreich zumeist als Synonym für Plünderung, Vergewaltigung, Verschleppung und Terrorisierung der Zivilbevölkerung gesehen. Diese sind wesentlich stärker als jene wenigen positiven Erinnerungen an die „Russenzeit“, die an Begriffe wie Kinderliebe, Kulturbewusstsein und Befreiung vom NS-Regime geknüpft sind.

Betrachtet man das „Russenbild“ das ohne Zweifel auf realen Erlebnissen und einer harten Zeit der Bevölkerung beruht, so soll Eines nicht außer Acht gelassen werden: In Österreich entwickelte sich gerade während der Zeit des Kalten Krieges eine immer stärkere Affinität und Nähe zu westlich-kapitalistischen Weltanschauungen und zu demokratischen Systemen, die sich in einer allgemeinen Ablehnung der kommunistischen Welt niederschlug und auch das heutige „Russenbild“ beeinflusste.


Verwendete Literatur siehe Bibliografie.
Redaktionelle Bearbeitung: Elisabeth Kreuzwieser, 2005